Die spanische Nordküste
Nachdem Henning auf seiner neuen Isomatte eine erholsame Nacht verbracht hatte, stand für uns fest, dass wir wieder zurück an die Küste wollten. Denn um die Ersatzmatte zu besorgen, hatten wir diese zunächst verlassen müssen. Da traf es sich, dass wir in Bilbao bzw. kurz dahinter in Gexo einen Warmshower Platz für zwei Nächte gefunden hatten. Daher radelten wir mit der neuen Isomatte im Gepäck wieder Richtung Küste.
Der Weg war weder sonderlich spannend, noch schön, da es den Hauptteil über eine große Straße ging. Glücklicherweise war aber Sonntag und so gab es kaum Autos dafür aber Massen von Rennradfahrern. Es war unglaublich. Tags zuvor waren uns schon extrem viele begegnet, aber heute waren hunderte unterwegs. Ob alleine oder in wirklich großen Gruppen, welche die gesamte Straße blockierten. Einmal kamen uns ca. 40 Mann in einer Gruppe entgegen und alle fuhren auf der kompletten Fahrbahn neben- und hintereinander, sodass sich dahinter bereits ein Stau mit über 25 Autos gebildet hatte.
An diesem Punkt sinnierten wir über dieses Verhalten. Denn von zu Hause ist uns natürlich eingetrichtert worden, dass man auf der Straße nicht nebeneinander, sondern hintereinander fährt, damit die Autofahrer Platz haben. Allerdings stellten wir fest, dass hier eigentlich nur die eigene Sicherheit als Argument genommen werden kann, weil man als Radfahrer zwangsweise das Nachsehen hat. Aber ansonsten sprach doch eigentlich gar nichts gegen dieses Verhalten, oder? Immerhin waren es 40 Mann, die mit knappen 30 km/h fuhren und ja, dahinter stauten sich die Autos, aber in jedem Auto saß nur eine einzige Person. Sprich der Stau war aufgrund der Fahrzeuggröße zwar beeindruckend, aber es waren viel weniger Personen als die Rennradgruppe. Warum sollten diese dann das Nachsehen haben? Nur weil fast überall die Meinung vorherrscht, dass sich alles nach den Autos zu richten hat? Wir hatten auf jeden Fall reichlich Diskussionsstoff für die Fahrt und interessanterweise blieben die Spanier, die hinter der Gruppe im Stau standen vollkommen entspannt und warteten auf eine übersichtliche Stelle zum Überholen.







Als wir Bilbao erreichten, waren wir überrascht wie leer es überall war. Es wirkte als sei niemand unterwegs. Obwohl wir keine Städte mögen, war diese irgendwie so anders, dass sie wirklich interessant wirkte. Zudem befindet sich hier auch das größte Museum zur Geschichte der Basken und des Baskenlandes. Schließlich erreichten wir Gexo, was direkt am Meer liegt und konnten uns ein paar Höhenmeter sparen, da die Basken nicht doof sind und einfach Fahrstühle an die steilen Klippen gebaut haben, sodass man nicht immer steile Wege oder Treppen nach oben nehmen muss. Oben angekommen, suchten wir unseren Warmshower Platz und nachdem wir bereits in irgendwelchen Hinterhöfen gelandet waren, fanden wir endlich die angegebene Adresse. Hier machten wir das erste (und bisher glücklicherweise auch einzige Mal) eine nicht ganz so tolle Erfahrung. Karen (Name geändert), unsere Gastgeberin, öffnete uns die Tür, sagte knapp Hallo, sagte wir müssten die Räder abladen und dass wir die Räder nicht mit rein nehmen könnten und ließ uns dann erstmal etwas planlos im Hausflur stehen während sie wieder in die Küche ging. Dieses „die Räder nicht mit reinnehmen“ war schon Mal der erste Dämpfer, da das vorher in keiner Nachricht erwähnt worden war. An und für sich sind wir hier sehr entspannt, schließlich stehen die Räder, wenn wir Zelten auch immer draußen. Aber mitten in einer großen Stadt die Fahrräder tagelang irgendwo abzustellen, wo man sie nicht im Blick hat, ist etwas ganz anderes. Vor allem, wenn nur eine Regenrinne zur Befestigung vorhanden ist. Naja, war jetzt so, denn es war bereits 20 Uhr und damit eindeutig zu spät uns spontan was anderes zu überlegen. Hofften wir einfach das Beste. Als wir wieder drinnen waren, versuchten wir ein Gespräch in Gang zu bringen und Interesse an Karen zu zeigen immerhin war sie vor 15 Jahren aus Deutschland nach Spanien gegangen, das sollte also nicht schwierig sein. Es lief allerdings gar nicht rund, was vielleicht auch daran lag, dass eines der ersten Dinge, die Karen zu uns sagte war, dass sie überhaupt keine Lust auf Gäste habe und sie eigentlich nur sie Füße hochlegen und ihre Ruhe haben wolle. Super. Da fühlten wir uns direkt richtig willkommen und fragten uns, warum sie uns dann überhaupt zugesagt hatte, schließlich hätte sie unsere Anfrage ja auch einfach ablehnen können. Das nächste Problem war, dass wir gerne Duschen wollten. Davon war sie nicht so begeistert, stellte aber schließlich wiederwillig den Heißwasserboiler an. Wir duschten auf ihre Bitte so schnell wir konnten und fragten anschließend, ob sie vielleicht Lust hätte noch etwas zusammen zu essen. Dem war natürlich nicht so und als sie schließlich ins Bett ging, machten Henning und ich uns noch schnell Nudeln mit Tomatensoße. Wir waren uns einig, dass wir morgen weiterfahren würden, auch wenn wir uns eigentlich auf einen Ruhetag gefreut hatten. Allerdings hätten wir die Wohnung tagsüber auch die ganze Zeit verlassen müssen, da sie niemanden unbeaufsichtigt darin lassen wollte. Das kannten wir so auch nicht. Denn Warmshowers war ja im Grunde dafür da, dass man sich dort mal ein zwei Tage ausruhen und mit den Gastgebern austauschen kann. Wir fühlten uns einfach überhaupt nicht wohl und willkommen.
Am nächsten Morgen ging es dann auch entsprechend anstrengend weiter. Anstrengend, weil wir natürlich auch nicht unhöflich sein wollten, aber auch wenig Lust hatten uns anzuhören, was an Deutschland denn alles so scheiße ist, was in Spanien kacke ist, warum es ihr so schlecht geht und so weiter. Negativtät ohne Punkt und Komma. Wir sagten ihr jedenfalls, dass wir weiterfahren würden, packten unsere Sachen, bedankten uns natürlich trotz allem für das Dach über dem Kopf und die Dusche und fuhren weiter.
Immerhin hatten wir aber erfahren, dass wir scheinbar schon die ganze Zeit auf dem Camino del Norte, dem Pilgerweg an der spanischen Nordküste nach Santiago de Compostela unterwegs waren. Und da wir, seit wir Robert und Brigitte in Frankreich besucht hatten, gerne aus jedem Land ein Souvenir mitnehmen würden, sollte der Pilgerpass unser Souvenir für Spanien werden. Daher besorgten wir uns in Bilbao, wohin wir zurückfahren mussten, um den Fluss zu queren, unsere eigenen Pilgerpässe und fuhren von hier an bewusst auf dem Camino del Norte weiter Richtung Westen. Und auch, wenn dieser Weg unglaublich anstrengend war, da es in einer Tour steil hoch oder runter ging, war es landschaftlich wunderschön. Wir fuhren an steilen Küsten entlang, erreichten Asturien und ließen das Baskenland hinter uns, machten Pausen in kleinen Buchten und zelteten weit oben auf einer Klippe und genossen den Sonnenaufgang am nächsten Tag. Wir fanden kristallklare Flüsse, die Natur war wunderschön grün und alles blühte und gedieh. Wir schlugen unser Zelt mehrfach neben Friedhöfen auf und genossen so die Annehmlichkeiten von fließendem Wasser. Unterwegs trafen wir unzählige Pilger, wovon die meisten natürlich zu Fuß, einige aber auch auf dem Fahrrad unterwegs waren. Und schließlich trafen wir noch einen jungen Deutschen, der uns ein besonderes Geschenk machte. Yannick war mit seinem Fahrrad von Deutschland aus nach Portugal gefahren und war grade wieder auf dem Weg nach Hause. Sprich er kam da her wo wir hin wollten. Wir unterhielten uns eine Weile miteinander, unter anderem auch darüber, dass es in Spanien mit Warmshowers so schlecht lief. Er bestätigte unseren Eindruck, gab uns aber den Kontakt von jemandem, wo er übernachtet hatte und der sehr gerne Leute aufnahm.










Und so hatten wir drei Tage später das Glück Angel und seinen Sohn Leo kennenzulernen und damit eine weitere unglaublich tolle Warmshowers Erfahrung zu machen. Es ging schon super witzig los, da Angel überhaupt nicht zu Hause war als wir ankamen, er uns aber ein Foto geschickt hatte, wo er seinen Schlüssel liegen hat. Dazu hatte er geschrieben, wir sollten uns wie zu Hause fühlen und uns einfach entspannen. Daher duschten wir ausgiebig, stellten die Wäsche an und verbummelten den Tag. Abends kam noch Jakub, ein Couchsurfer aus Polen an, und wir lernten uns schon mal kennen bevor wir überhaupt Angel trafen. Als Angel abends ankam, saßen wir alle noch ziemlich lange in der Küche zusammen und unterhielten uns. Vor allem Henning und ich löcherten Angel mit Fragen, denn dieser war vor zehn Jahren für 14 Monate mit dem Fahrrad durch Afrika gereist. Und da wir bis heute noch nicht wissen, wie es nach Neuseeland weitergehen soll (Südamerika oder Afrika), waren wir extrem gespannt auf seine Geschichten und stellten ihm unzählige Fragen. Er zeigte uns sogar einen Artikel, welchen das Magazin der Zeit damals darüber publiziert hatte (er war mit seiner deutschen Freundin gereist). Der Artikel war herrlich gemacht und wir lachten Tränen als wir uns an der ein oder anderen Stelle wiederfanden. Schließlich war es aber doch recht spät und vor allem da Angel am nächsten Tag arbeiten musste, gingen wir alle schlafen.
Am nächsten Tag wartete aber noch eine weitere Überraschung auf uns. Angel ist einer von vier Inhabern einer kleinen Brauerei und er gab uns eine Tour und erklärte uns einiges über den Prozess des Bierbrauens. Und das Beste: wir durften von jeder Sorte eine Flasche mitnehmen, um diese später zu probieren. Außerdem erfuhren wir, nachdem ich eher spaßeshalber danach gefragt hatte, dass die Biere nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut werden, da Angel in Deutschland alles übers Bierbrauen gelernt hat. Nach der Tour holten wir seinen Sohn Leo (7) von der Schule ab. Das Tolle hierbei war, dass Leo Deutsch kann, da er zweisprachig aufgewachsen ist. Und nachdem er einmal aufgetaut war, verstanden wir uns richtig gut mit ihm und vor allem an Henning hatte Leo einen Narren gefressen. Dieser baute sogar schließlich mit ihm eine Angel fürs Fische fangen. Es war einfach nur schön und daher blieben wir auch länger, als wir es ursprünglich geplant hatten. Wir sprachen jeden Abend mit Angel über Afrika, ließen uns Fotos und Videos zeigen und probierten die Biere aus der Brauerei. Am Ende schenkte Angel uns noch ein Buch über Afrika, in dem wir schon gestöbert hatten, um uns unsere Entscheidung vielleicht noch etwas zu vereinfachen. Und so fuhren wir nach einigen Tagen um ein Buch schwerer und eine wunderbare Erfahrung reicher weiter Richtung Santiago de Compostela.












Schon zwei Tage später erreichten wir Galizien und kamen unserem Zwischenziel damit immer näher. Und da hier die Berge deutlich fahrbarer werden, was auch auf der Karte gut zu erkennen ist, flogen die letzten Tage und Kilometer bis Santiago nur so vorbei und schließlich passierten wir das Ortseingangsschild. Je näher wir der Kathedrale kamen, desto voller wurde es und grade in den kleinen Gassen steckten wir förmlich in einem Stau zwischen den ganzen anderen Pilgern fest. Wir wollten uns gar nicht ausmalen, was hier in der Hochsaison los wäre. Untermalt von Dudelsackmusik fuhren wir nach kanppen 900 km auf dem Jakobsweg auf den Vorplatz der Kathedrale. Hier suchten wir uns einen schönen Platz und beobachteten einfach nur für ein paar Stunden das bunte Treiben. Wir wurden allerdings auch immer wieder angesprochen, da die Leute sehr interessiert an uns schienen. Wir fanden das doch recht erstaunlich, da wir bei Weitem nicht die einzigen Radreisende waren, die hier ankamen. Allerdings waren wir mit Abstand die mit dem meisten Gepäck. Vielleicht lag es daran.

Eine Pilgerurkunde holten wir uns allerdings nicht ab. Wir hatten einfach das Gefühl, dass es nicht die gleiche Leistung war den Jakobsweg mit dem Fahrrad zu fahren, wie ihn zu laufen. Wenn wir uns diese Urkunde irgendwann abholen würden dann zu Fuß. Aus dem gleichen Grund entschieden wir uns auch dagegen weiter bis Finesterre, dem eigentlichen Ende des Jakobsweges zu fahren. Auch hier fanden wir, dass man das, wenn schon, zu Fuß machen sollte, um es sich so richtig zu verdienen. Dann wäre das Gefühl auch mit Sicherheit ein gänzlich anderes. Daher drehten wir in Santiago ab und fuhren nun nicht mehr nach Westen, sondern gen Süden und damit immer Richtung Portugal.