Wenn Zeitreisen Wirklichkeit werden
Von Serbien aus fahren wir über einen Staudamm in der Donau auf die andere Seite nach Gura Vaii nach Rumänien. Während auf der serbischen Seite an der Donau tote Hose herrschte, ist auf der rumänischen Seite plötzlich die Hölle los, was Autos, aber vor allem auch LKWs angeht. Trotzdem sind wir froh wieder hier zu sein. Wir waren bei unserer ersten Fahrradreise 2018 bereits in Rumänien gewesen und hatten damals schon gesagt, dass wir nochmals herkommen wollten, da es uns zu dem Zeitpunkt bereits gut gefallen hatte, wir aber nur wenig Zeit hatten.
Und hier waren wir wieder. Bereits nach wenigen Kilometern begegnete uns das, was wir noch von unserem ersten Besuch dort in Erinnerung hatten und was uns irgendwie faszinierte. Ein Pferdekarren, der durch den Ort fuhr. Aber kein schicker, moderner Pferdekarren, wie man ihn ggf. in manchen touristischen Orten findet, sondern ein alter Holzkarren, der von einem Pferd gezogen wurde. Dies ist in Rumänien kein sonderlich ungewöhnlicher Anblick. Das Land ist nicht besonders wohlhabend und viele Leute sind wahre Überlebenskünstler und Autos schlichtweg unerschwinglich. Statt einem Auto gibt es dann einen Pferdekarren. Wenige Tage später lernten wir einen Rumänen kennen, der uns sagte, dass man beim Überqueren der rumänischen Grenze 70 bis 100 Jahre in der Zeit zurückreist, was wir selbst noch erleben würden, aber was anhand dieser Karren schon deutlich wurde.








Obwohl dieser Anblick für uns ungewohnt ist und man deutlich erkennen kann, dass viele Leute dort sehr wenig Geld haben, bedeutete das nicht, dass diese weniger freundlich oder hilfsbereit waren. Bereits am ersten Tag erfuhren wir die Hilfsbereitschaft der rumänischen Leute. Bei der Beschaffung einer SIM Karte und der Installation lief ich irgendwann mit drei Leuten durch die Gegend, die mir helfen wollten, auch wenn wir uns absolut nicht verständigen konnten. Später hatte Henning zur Abwechslung wieder einen Platten und ein alter Mann kam dazu, weil er uns unbedingt beim Flicken helfen wollte. Freundlicher hätten wir gar nicht in Empfang genommen werden können.
Zunächst folgten wir der E70 weiter Richtung Osten immer entlang der Donau. Es war nicht unbedingt ein schöner Weg, aber die einzige Straße, die hier an der Donau entlang führte, entsprechend aber auch sehr viel Verkehr und vor allem LKWs mit sich brachte. Im Vergleich zu den serbischen LKW Fahrern überholten die rumänischen Fahrer jedoch nahezu rücksichtsvoll. Außerdem brachte dieser Weg mit sich, dass wir unsere erste Nacht in Rumänien an der Donau schlafen konnten, wobei ich auf dem Feldweg zum Ufer beinahe von einem Straßenhund vom Fahrrad geholt worden wäre und lernte, dass ich sehr eindrucksvoll schreien konnte. Zum Glück passierte jedoch nichts.



Am nächsten Tag knickte die E70 ab und der Hauptverkehr ging weiter an der Donau entlang, während wir weiter der Straße Richtung Craiova folgten. Entsprechend wurde der Verkehr weniger und die Straßen kleiner bis wir schließlich noch ein paar Mal abgebogen waren und uns in der absoluten Pampa wiederfanden, wo es nur sehr kleine Dörfer, viele Felder und Straßenhunde kam. Wir genossen das Fahren dort sehr, vor allem da die Straßen in einem ziemlich guten Zustand waren und wir bestes Herbstwetter hatten. Am Nachmittag, als wir bereits bei einem Haus unsere Trinkflaschen gefüllt hatten, kam uns ein Rennradfahrer entgegen. Seit ewigen Zeiten der erste Freizeit-Radfahrer, den wir sahen und wir winkten begeistert, als er an uns vorbei sauste und er winkte zurück. Wir fuhren weiter, erkundeten ein paar Brunnen zum Tränken von Tieren und genossen den Nachmittag.







Wir begannen bereits nach potenziellen Zeltplätzen Ausschau zu halten, wollten jedoch noch einen Anstieg hinter uns bringen, als wir in unseren Spiegeln sahen, dass der Rennradfahrer sich von hinten näherte und kurz darauf neben uns verlangsamte. Überraschenderweise sprach er sehr gut Englisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass vor allem auf dem Land jemand Deutsch und nicht Englisch spricht ist tatsächlich ziemlich hoch, da viele Leute eine Zeit in Deutschland gearbeitet haben oder als Saisonarbeiter einen Teil des Jahres dort verbringen. Als wir eine Wasserquelle erreichten, stoppten wir, um die Flaschen aufzufüllen und unterhielten uns mit ihm. So lernten wir Constantin kennen. Wir erzählten von uns und er wollte wissen, wo wir heute Nacht schlafen würden. Wir zeigten auf die weiten Felder und sagten, dass wir irgendwo hier einfach unser Zelt aufschlagen würden. Das hielt er für keine gute Idee, ob wir nicht mit zu ihm kommen wollten? Er würde eben seine Freundin anrufen, ob wir bei ihnen übernachten könnten. Allerdings gab es unten am Berg keinen Empfang und so stochte er eben mit seinem Fahrrad nach oben, telefonierte, kam wieder zu uns, sagte, dass es kein Problem sei und fuhr gemeinsam mit uns wieder nach oben.
So lernten wir Constantin und Viki, sowie Vikis Mutter und Großmutter kennen. Die beiden wohnten bei Vikis Mutter auf dem Hof in einem kleinen Dorf mit etwa 300 Häusern. Wie wir lernten, hatten wir echtes Glück, denn nur etwa eines von dreißig Häusern in dem Dorf hat ein richtiges Badezimmer. Das von Vikis Mutter gehörte dazu. Bei den anderen Häusern gibt es draußen ein Plumpsklo und man wäscht sich über einer großen Schüssel. Wir dagegen konnten herrlich heiß duschen, nachdem wir angekommen waren und waren dafür auch sehr dankbar. Eigentlich hatten wir am nächsten Tag direkt weiterfahren wollen, allerdings verstanden wir uns so gut mit Viki und Constantin und fühlten uns auf dem Hof trotz oder grade wegen der Einfachheit unglaublich wohl, dass wir länger blieben. Die Tatsache, dass Vikis Mutter unglaublich leckere Sachen kochte, war außerdem auch noch ein Argument. Und so konnten wir viel sehen und lernen.









Gekocht wurde draußen auf einem Holzofen. Für uns ungewohnt, aber wenn man genauer darüber nachdenkt, war es nur logisch. Zu dem Grundstück gehörte ein Stück Wald, sodass das Holz für den Ofen selbst beschafft werden konnte und man kein Gas für den Herd in der Küche verbrauchen musste. Denn Gas war teuer und entsprechend wurde so lange es die Temperaturen zuließen draußen gekocht, um Geld zu sparen. Abgesehen davon heizte sich im Sommer so das Haus nicht auf. Wenn wir abends ins Bett gingen, machten wir den Holzofen im Zimmer an. Es gab keine Heizung, es wurde nur dort mittels Ofen geheizt, wo man sich auch aufhielt, ebenfalls mit Holz. Zudem baute eigentlich jeder, der nicht in der Stadt lebte selber Obst und Gemüse an, welches zum Kochen verwendet wurde und was zu viel war, wurde eingemacht und das Obst wurde oft zu Marmelade verarbeitet. Dann wurde es für das restliche Jahr eingelagert. Im Grunde versuchen die Rumänen so viel es geht selber anzubauen, was Henning und ich ziemlich toll fanden, da wir uns sehr für Gemüse- und Obstanbau begeistern. Allerdings wird das in Rumänien nicht gemacht, weil so viel wert auf Bio gelegt wird oder darauf, dass man weiß, wo das Gemüse herkommt, sondern schlichtweg, um Ausgaben zu reduzieren und Geld zu sparen. Wie bereits gesagt, viele Leute hier sind Überlebenskünstler, einfach weil das Geld, das zum Leben zur Verfügung steht vorne und hinten nicht reicht.
Auf der anderen Seite fiel es uns manchmal schwer nachzuvollziehen, dass diese Art zu leben vor allem in wohlhabenderen Ländern gerne mit Geringschätzung betrachtet wird. Was, die haben kein Auto? Was, die heizen mit Holzöfen? Was, die bauen ihr Essen selbst an? Und dann denkt man ein kleines Stück weiter und muss fast lachen. Denn: Während Pferde in Rumänien als Mittel zur Fortbewegung genutzt werden und man sich somit die Kosten für ein Auto spart, fahren wir zu Hause mit dem Auto zum Pferdehof und bezahlen teures Geld, um reiten zu dürfen. Wir haben ebenfalls Holzöfen zu Hause und es werden immer mehr, nur nennen wir sie Kamin und betrachten sie als etwas ziemlich Schickes. Ja, die Wärmeleistung ist deutlich besser, aber das Prinzip dahinter, nämlich mit Holz zu heizen, ist exakt das Gleiche. Und bei uns in Deutschland bezahlt man Geld für einen Schrebergarten oder beteiligt sich an einem Stück Acker, um sein Obst und Gemüse selber anzubauen, nicht weil wir es müssen, sondern weil wir es wollen und es so viel besser schmeckt. Das lässt einen doch stutzig werden. Der größte Unterschied ist wahrscheinlich, dass die Rumänen das machen, um Geld zu sparen, während wir einiges an Geld ausgeben, um diese Dinge machen zu können. Man sollte also nicht zu schnelle eine abwertende Haltung einnehmen.






Wir fühlten uns jedenfalls pudelwohl und genossen unsere Zeit dort sehr. Tatsächlich so sehr, dass wir uns, als wir schließlich weiter mussten, da wir über Warmshowers für zwei Nächte in Craiova verabredet waren, nochmal für danach verabredeten. Viki und Rossi hatten nämlich noch ihre eigene Wohnung und diese Lag vom Dorf aus gesehen hinter Craiova, sodass wir uns nochmal treffen konnten. Das waren super Aussichten und so fuhren wir nach ein paar Tagen ohne schweres Herz vom Hof los Richtung Craiova.
Craiova ist eine recht große Stadt, aber selbst für uns mit dem Fahrrad zum Glück noch nicht zu groß, aber der Unterschied zum Land und den Dörfern dort könnte kaum größer sein. Es ist eine moderne Stadt, wie man sie auch in Deutschland findet und vor allem junge Leute und junge Familien leben hier in den Städten, was vor allem viel mit dem Vorhandensein von Schulen und Universitäten sowie Jobs zu tun hat. Auf den Dörfern leben tatsächlich hauptsächlich ältere Leute. Auf dem Weg zu Julia, unserer Warmshower Gastgeberin, lernten wir Viktor kennen, der uns wegen der Räder ansprach und uns am nächsten Tag eine Tour durch Craiova gab. Mit Julia verstanden wir uns ebenfalls wirklich gut und wir kochten gemeinsam Pasta und am zweiten Abend kochte sie ein traditionelles Gericht für uns.














Nach zwei Nächten dort verabschiedeten wir uns, wieder mit einer wunderbaren Begegnung mehr im Gepäck, und trafen uns mit Constantin und Viki am Decathlon. Dort luden wir all unsere Taschen in Vikis Auto, um die 50 km bis Slatina mit Constantin zusammen auf den Rädern dorthin zu fahren. Gefühlt wäre ich am Ende lieber mit Gepäck gefahren. Henning wurde nämlich natürlich direkt vom Ehrgeiz gepackt, so ohne Gepäck und in Begleitung eines Rennradfahrers (die Tatsache, dass wir inzwischen erfahren hatten, dass Constantin mehrfacher rumänischer Nationalmeister war, trug ebenfalls dazu bei), sodass er vorne so Tempo machte, dass ich schon nach 10 km hoffte, dass es schnell vorbei wäre. Aber ich war auch zu stolz, um zu sagen, dass er einen Gang rausnehmen sollte und so kämpfte ich, um dran zu bleiben. Zwei Stunden später waren wir trotz reichlich Gegenwind und einiger Höhenmeter in Slatina, wo uns Viki in Empfang nahm und wir von Constantin mit einem Rote Beete Saft zur Regeneration versorgt wurden.
Die nächsten Tage verbrachten wir gemeinsam, ruhten uns weiter aus, erkundeten Slatina und dann unternahmen Viki und Constantin noch einen Ausflug mit uns. Eigentlich wären Henning und ich nämlich gerne in die Karpaten, die Berge Rumäniens, gefahren. Einfach weil wir lieben und die Karpaten wunderschön sein sollten. Außerdem wollte Henning einen Bären sehen. Inzwischen hatten wir aber Anfang November und momentan gingen die Temperaturen zwar noch, jedoch würden wir bei den Höhenmetern etwa eine Woche bis dort brauchen, anschließend eine Woche zurück plus ein paar Tage dort. Puh, dann wären wir erst Ende November in Bulgarien und dann wäre es viel zu kalt und wir würden der Wärme nur noch hinterherfahren. Das alles wussten die beiden, außerdem sagte Constantin, dass man nicht in Rumänien gewesen sein kann, ohne Schloss Bran, das Schloss Draculas gesehen zu haben. Daher fuhren wir einen Tag zusammen mit dem Auto in die Berge und nach Schloss Bran. Es war ein unglaublich toller Tag. Henning kann mit alten Schlössern nicht so viel anfangen, aber ich interessiere mich sehr dafür und entsprechend gut gefiel mir der Besuch im Schloss Bran. Außerdem gingen wir noch in den Bergen spazieren und besuchten auf dem Rückweg Constantins Eltern. Es war einfach ein perfekter Tag.














Der perfekte Tag endete mit einer typisch rumänischen Speise: „Mititei“. Dabei handelt es sich um gegrillte Hackfleischröllchen. Das Beste kommt aber noch. Beim Betreten der Raststätte, hatten wir uns bereits ein wenig gewundert, dass neben dem Eingang am Tisch zwei Männer saßen und scheinbar endlos Knoblauch schälten. Natürlich wussten wir inzwischen, dass die Rumänen sehr gerne und sehr viel Zwiebeln und Knoblauch aßen (gerne auch roh und nur in Salz gedippt), aber für die Menge an Knoblauch war viel zu wenig los. Die Erleuchtung kam zusammen mit den Mititei, denn als Dipp wurde mit Öl geschredderter Knoblauch serviert. Nach einem Besuch in Draculas Schloss vielleicht gar nicht so verkehrt und es schmeckte tatsächlich sehr gut. Seitdem sind wir, was Knoblauch angeht allerding ein wenig versaut und machen auch, wenn wir abends Kochen immer Knoblauch ans Essen und auch lieber ein oder zwei Zehen mehr. Man kann nie genug Knoblauch haben. Wobei man dafür sorgen sollte, dass man genug Wasser am Bett stehen hat.



Nach insgesamt einer Woche wurde es dann aber doch Zeit Abschied zu nehmen, was uns allen ziemlich schwer fiel. Wir kannten uns nicht lange, aber das spielte dabei keine Rolle. Es hatte einfach gepasst und es war eine neue Freundschaft entstanden, für die wir sehr dankbar waren. Und uns war auch klar, dass wir die beiden nach unserer Reise wieder besuchen würden. Dann aber mit Rennrädern oder Gravel Bikes, um gemeinsam Rumänien unsicher machen zu können. Bis dahin würden wir aber zunächst weiter zu zweit durch die Welt fahren, um hoffentlich noch mehr solcher wunderbarer Erfahrungen sammeln zu können. Und so machten wir uns winkend auf den Weg, um noch ein paar Tage durch das herbstlich bunte Rumänien Richtung Bulgarien zu fahren.














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Hallo ihr Zwei, wieder einmal ein toller Text und sensationelle Bilder und Eindrücke , die ihr da vermittelt. Ich wünsche euch weiterhin viel Spaß und tolle Erlebnisse bei bester Gesundheit. Liebe Grüße Michael
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Hallo Micha,
vielen Dank für die Blumen. Wir freuen uns immer, wenn die Artikel euch gefallen.
Ganz liebe Grüße in den Pott und an Harry ☺️
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Hallo Marielle, sehr gerne. Grüße werde ich ausrichten, Harry ist schon seit 11 Monaten raus und genießt seinen Vorruhestand!! Liebe Grüße
Michael
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