Was sich verändert
Allem voran verändert sich der Körper und hier geht es nicht darum, dass irgendwer zu- oder abnimmt. Vermutlich hat jeder von uns inzwischen gute 3 kg verloren, aber das faszinierendste ist, wie sich der Körper an das, was ihm täglich abverlangt wird angepasst hat. Und das ist gerade zu Beginn einiges.
War der Hintern ein kuscheliges Bett, eine weiche Couch oder doch zumindest den bequemen Autositz gewohnt, muss er plötzlich zahlreiche Stunden am Tag auf einem doch recht kleinen, nicht gefederten Fahrradsattel verbringen. Bei mir kam zur Krönung noch dazu, dass ich mir unmittelbar vor Abfahrt einen neuen Sattel zugelegt hatte, weil ich mit dem alten Sattel einen kleinen Disput hatte. Vermutlich dachte ich mir: Wenn schon Arschschmerzen, dann aber richtig. Und so kam es natürlich auch. Am vierten Tag schmerzte vor allem mein Hinterteil so stark, dass wir bei nächster Gelegenheit Bepanthen kaufen mussten, damit ich wenigstens gedanklich das Gefühl hatte, ich würde etwas dafür tun, dass es meinem Po bald besser gehen würde. Und so war es dann glücklicherweise auch. Im Grunde kann man sagen, dass beim Radfahren der dritte oder vierte Tag am schlimmsten ist. Dann bleibt es erst mal eine Zeit auf diesem Niveau, wird zwar nicht besser, aber zum Glück auch nicht schlimmer. Und dann ganz plötzlich, denn irgendwie scheinen wir jedes Mal den Übergang zu verpassen, ist wieder alles gut und der Hintern fühlt sich an, als wäre nie etwas gewesen und er hätte nie was anderes gemacht als täglich stundenlang auf dem Fahrrad zu sitzen. Inzwischen können wir sogar immer wieder mal die gute Pempershose, wie wir unsere Radlerhosen nennen, weglassen und nur mit unseren normalen Buchsen bewaffnet 60 km abreißen, ohne dass sich die vier Buchstaben überhaupt bemerkbar machen.
Aber nicht nur der Hintern hat sich erstaunlich gut angepasst, sondern auch der restliche Körper. Henning und ich waren wie auch bei jeder vorherigen Reise mal wieder vollkommen untrainiert gestartet. Wir hatten mit allem, was noch so zu erledigen war einfach keine Zeit und ehrlicherweise bei dem nasskalten Januar- und Februarwetter auch einfach keine Lust gehabt großartig mit dem Fahrrad durch die Gegend zu gondeln. Also setzten wir uns einfach so aufs Rad und dachten, dass es schon irgendwie gehen wird. Ging es auch. Allerdings waren wir dafür zu Beginn abends auch immer vollkommen gerädert und schliefen nachts gute zehn bis elf Stunden. Auf flacher Strecke schafften wir zudem ohne Wind vielleicht grade mal 15 km/h und jeder Hügel war eine echte Herausforderung. Oft genug mussten wir absteigen und schieben oder zumindest mal kurz mittendrin Pause machen. Inzwischen treten wir gute 20 km/h, wenn es flach ist und rollt und Hügel nehmen wir ohne großartige Probleme, selbst Berge sind machbar. Zwar teils im kleinsten Gang und mit gewaltigem Schweißtreiben, aber bei 40 kg Gepäck soll das wohl auch so sein. Jedoch verändert sich nicht nur das Tempo auf flacher Strecke oder aufwärts, sondern auch abwärts. Zu Beginn bremsten wir schon, wenn wir bei 25 km/h angekommen waren, da alles am Wanken und Wabbeln war. Heute wird jede rasante Abfahrt genossen, schließlich hat man sich diese vorher mühsam erstrampelt, und erst so bei 45 km/h wird mal übers Bremsen nachgedacht. Und auch nur, wenn man den nächsten Hügel nicht schon sehen kann. In diesem Falle duckt man sich sonst lieber tief über den Lenker, um zumindest 1 % windschnittiger zu werden und am Hügel gegenüber vielleicht zehn Meter weniger treten zu müssen. Aber es ist wirklich erstaunlich, in welch kurzer Zeit der Körper sich anpassen kann.
Zudem hat sich unser Teint verändert oder zumindest die Stellen, welche die Sonne zu sehen bekommen. Entsprechend lächerlich sehen wir inzwischen aus, wenn wir uns nackelig vorm Spiegel betrachten. Denn dann schaut es aus, als ob wir noch ein T-Shirt und eine kurze Hose tragen, während die Füße einen blenden, so weiß sind sie. Am dümmsten sieht es bei mir aber wohl aus, dass mein Gesicht inzwischen wirklich braun ist, die Farbe aber unmittelbar am Hals endet, da ich fast permanent ein Buff trage. So wirkt es, als ob ich 13 Jahre alt wäre und versucht hätte mich zum ersten Mal zu schminken, dabei jedoch beim Make-Up meinen Hautton ausgesprochen schlecht getroffen und noch nichts von Übergängen gehört habe. Stören tut uns dieser schicke Look allerdings keineswegs, da wir uns im vergangenen Monat überhaupt nur einmal in einem Ganzkörperspiegel gesehen haben und betrachten konnten. Meistens sehen wir nur einen etwa 5 x 2 cm großen Ausschnitt in unserem Fahrradspiegel. Und überhaupt, wer eitel ist, hat bei der Art wie wir reisen, vermutlich eh schon verloren.


Zuletzt ist eine Veränderung noch wirklich auffallend: Der Hunger und die Menge an Essen, die wir zu uns nehmen können. Und das, wenn man den Umstand bedenkt, dass wir, als wir noch unsere Wohnung hatten, grundsätzlich für vier Personen gekocht haben und selten etwas übrig geblieben ist. Wer uns mal zum Grillen oder sonstigem Essen eingeladen hat, wird wissen wovon ich spreche: Henning und ich haben schon immer sehr viel gegessen. Aber jetzt ist es einfach noch viel mehr. Da werden abends auch mal bis zu 500g Nudeln inhaliert und am nächsten Morgen hat man trotzdem schon wieder Hunger. Bei mir scheint es sogar noch schlimmer als bei Henning zu sein. Denn ich bin mittags immer die erste die fragt, wann denn Pause gemacht wird, was übersetzt heißt: Ich habe Hunger und brauche was zu Essen. Henning hat sich daher auch zwei äußerst liebevollen Spitznamen für mich überlegt und nennt mich nur noch „Fressliese“ oder „Raupe Nimmersatt“. Ich bezweifle zwar, dass ich am Ende der Reise ein wunderschönner Schmetterling sein werde, aber bis dahin werde ich nichtsdestotrotz wie die Raupe Nimmersatt alles essen, was mir in die Quere kommt. Schließlich kann man ja nie wissen.








P. S.: Auf welche Veränderung wir allerdings noch immer warten und die sich entgegen aller Behauptungen noch nicht eingestellt hat, ist dass sich der Körper an die Kälte gewöhnt. Wir frieren uns nach wie vor jeden Tag nicht nur alle vier Buchstaben ab, sondern direkt das ganze Alphabet. Erst wenn wir im Schlafsack liegen, stellen sich nach etwa 30 Minuten annehmbare Temperaturen ein. Dann darf allerdings auch außer dem Gesicht nichts rausluken. Wir freuen uns daher schon auf Temperaturen, bei denen man abends und morgens nicht fünf Jacken anziehen muss, um es draußen auszuhalten.



