Die traurige Wahrheit über viel Elend und was jeder von uns tun kann.
Seit wir im August das kroatische Inland erreicht hatten, sind sie ein ständiger Begleiter auf unserer Reise: Straßentiere. Groß, klein, dünn, abgemagert, verängstigt, zutraulich. In allen Farben und Formen. Aber warum berichten wir so viel über diese Tiere? Wir machen schließlich eine Fahrradreise. Warum sieht man in unseren Storys dann so oft irgendwelche Streuner? Warum unterbrechen wir unsere Reise oder wechseln das Transportmittel wegen irgendwelcher Tiere?
Wir beide mögen Tiere sehr und sind mit ihnen groß geworden. Hunde, Katzen und vieles mehr. Bei uns gab es immer Tiere und diese waren auch immer Teil der Familie. Dadurch haben wir eine sehr liebevolle Beziehung zu Tieren entwickelt. Sie sind Freunde und Familie und haben auch einen solchen Stellenwert. In Deutschland ist es auch recht einfach sich so zu verhalten. Straßenhunde haben wir beide dort noch nie gesehen. Man sieht selten mal einen entlaufenen Hund oder einen, der ausgesetzt wurde. Aber in einem solchen Fall, wird der Besitzer gesucht oder der Hund ins Tierheim gebracht und im besten Fall neu vermittelt. Und wenn man nicht aktiv ins Tierheim fährt, kann man leben, als ob es kein Problem gibt.
Seit wir die kroatische Küste verlassen haben, ist das jedoch anders für uns. Es vergeht kein Tag, an dem wir sie nicht treffen: Straßentiere. Egal, ob Hunde oder Katzen, sie sind allgegenwärtig. Da fängt das Problem jedoch auch schon an. Dadurch, dass die Tiere hier so normal sind, werden sie nicht mehr gesehen. Sie gehören zum Bild dazu und verwahrloste Streuner zu sehen, ist nicht der Rede wert. Die Tiere sind einfach da, niemand kümmert sich und sie werden eher als störend empfunden, als ein Lebewesen mit Wert. Teilweise können wir es sogar nachvollziehen. Nicht gutheißen, aber verstehen. Wenn man selbst kaum etwas zum Leben hat und nicht weiß, wovon man nächste Woche sein Essen bezahlen soll, hat man weder die Mittel noch die Möglichkeit diesen Tieren zu helfen. Auf der anderen Seite fehlt aber auch gänzlich das Bewusstsein dafür, dass so etwas kein tragbarer Zustand ist, und dass Sterilisierung viel Leid und Elend ersparen würde. Selbst die Tierärzte in manchen Ländern belächeln einen, wenn man mit seiner Katze zur Kastration vorbeikommt.







Auch wir merkten schnell, dass die Straßentiere im Balkan, aber auch in Ländern darüber hinaus ein Fass ohne Boden sind. Und wir fragten uns, wie wir damit umgehen sollen. Wir unterhielten uns viel darüber. Wir fragten uns, ob es die Sache eher besser oder schlimmer machte, wenn man sich zumindest für einen Abend, einen Morgen oder nur eine halbe Stunde um ein Tier kümmerte. Verlängerte man damit das Elend? Machte man dem Tier falsche Hoffnung? Sollten wir lieber Scheuklappen aufsetzen und akzeptieren, dass es hier eine solche Katastrophe ist? Definitiv nicht. Natürlich war uns klar, dass wir versuchten ein riesiges Feuer mit einer Gießkanne zu löschen, aber wenn das eigene Haus in Flammen steht, würde man auch nicht einfach nur zuschauen und den Umstand so akzeptieren. Natürlich wissen wir, dass unsere Möglichkeiten sehr eingeschränkt sind, besonders mit den Fahrrädern. Wir können weder einen 20 kg Futtersack mit uns herumfahren, um es dort zu verteilen, wo es benötigt wird, noch können wir mal eben ein Tier einpacken und zum Tierarzt oder in ein Tierheim bringen.
Und dennoch machen wir das, was wir können. Oft ist es nur, dass wir unser Essen, das wir mit uns herumfahren, teilen. Dann wird abends auch schon mal eine Portion Nudeln extra gekocht oder im Supermarkt ein Paket Wurst für den Streuner davor gekauft. Was wir außerdem tun können, ist Liebe schenken. Wir haben es so erlebt, dass die wenigsten Streuner gefährlich sind. Unangenehme Begegnungen hatten wir bisher nur mit privaten Hunden, die nicht richtig festgemacht waren oder mit Hütehunden, die allein in den Bergen ihre Schafherde bewachen. Streuner haben in der Regel eine sehr ambivalente Beziehung zu Menschen. Sie haben in der Vergangenheit oft schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht, da es hier nicht ungewöhnlich ist, dass die Tiere getreten, geschlagen, mit Steinen beworfen oder (fast) über den Haufen gefahren werden. Auf der anderen Seite wissen die Streuner aber auch, dass es beim Menschen oder in dessen Nähe Essen gibt. Manchmal spürt man regelrecht, wie die Tiere einen inneren Kampf ausfechten: Angst gegen Hunger. Wenn wir in der Pause auf einen Hund treffen, verscheuchen wir diesen nie. Stattdessen versuchen wir vorsichtig den Hund zu uns zu leiten, indem wir uns hinhocken, sodass wir auf seiner Höhe sind und freundlich mit ihm sprechen. Selbst die ängstlichen Hunde fassen dann meist so viel Vertrauen, dass sie zu uns kommen und sich streicheln lassen. Viele legen sich sogar auf den Rücken, sodass wir ordentlich ihren Bauch kraulen können, selbst die riesigen Kangale. Und es bricht einem wirklich das Herz, wenn man merkt, wie sehr die Tiere sich Zuneigung wünschen.









Es ist uns auch egal, wenn ein Tier offensichtlich Flöhe hat. In der Regel gehen diese nicht einfach auf den Menschen über (im Mittelalter ließ man die Hunde nicht ohne guten Grund im Bett schlafen) und so durfte auch die kleine „Nele“ schon bei uns im Vorzelt schlafen, damit sie nicht in der Nacht frieren muss, obwohl sie einen ganzen Flohzirkus beherbergte. Und auch der kleine „Pivo“ durfte ab der ersten Nacht mit in den Schlafsack. Denn das ist noch etwas, was wir machen können. In der kalten Jahreszeit können wir den Tieren zumindest für eine Nacht ein wenig Wärme geben. Dafür müssen sie nicht mit in unsere Schlafkabine, denn im Vorzelt ist es schon deutlich wärmer als draußen, außerdem windgeschützt. Wenn das noch nicht reicht, gibt es noch unsere beschichtete Isomatte zum Drauflegen und manchmal, so wie im Falle von „Faith“ wird dem Tier sogar etwas von unserer Kleidung übergeworfen, um die Nacht in der Kälte bei -8°C erträglicher zu machen.







Manchmal ist es dann aber schlichtweg trotzdem zu viel. Wie im Falle von Pivo oder Alan. Wie gesagt, sind wir es ohnehin nicht gewohnt solches Leid zu sehen und zum Glück ist es für uns selbst nach einem halben Jahr noch immer alles andere als normal und genauso schlimm wie zu Beginn diese Tiere zu sehen. Tiere bei denen man jeden Knochen sehen kann. Tiere, die Reude haben und ihr schon kaum noch Fell haben. Tiere mit Geschwüren. Tiere, denen man ansieht, dass sie jede Hoffnung verloren haben. Manchmal ist es einfach zu schlimm. Dann fließen die Tränen und es wird verzweifelt geschrien und geheult. Manche Tiere berühren uns so sehr, dass es für uns unmöglich ist, einfach nichts zu machen. Denn es ist die eine Sache an Tieren vorbeizufahren, die offensichtlich kein schönes Leben haben, aber irgendwie zurechtkommen. Aber es ist eine vollkommen andere Sache einfach an einem Tier vorbeizufahren in dem Wissen, dass es ohne Hilfe sterben wird. Und das ist etwas, das wir weder können noch machen. Glücklicherweise sind wir uns dabei immer einig, denn dann kann es auch schon mal teurer werden und wir geben das Geld aus, das wir so lange für unseren großen Traum gespart haben. Aber was macht es schon, wenn wir ein paar Monate weniger reisen, wenn es dafür ein bisschen weniger Leid auf dieser Welt gibt?
Die größte Aktion haben wir sicher für Pivo unternommen und sind heute noch jeden Tag glücklich über diese Entscheidung. (Du hast die Geschichte mit Pivo verpasst? Dann kannst Du diese hier nachlesen.) Jedes Mal, wenn wir ein neues Foto von dem kleinen Matz bekommen, werden wir in unserer Entscheidung bestätigt. Pivo wäre ohne unsere Hilfe gestorben. Jetzt hat er die optimalen Voraussetzungen für ein langes und glückliches Leben mit allen Annehmlichkeiten, von der ein Kater nur träumen kann. Aber auch klein Alan hat Wirbel ausgelöst.
Wir waren seit fast zwei Wochen bei Temperaturen um die 0°C tagsüber und bis -9°C nachts unterwegs als wir auf den sehr jungen, völlig abgemagerten, kleinen Kangal trafen. Wir hielten an, schauten uns an und unterbewusst war sofort klar, dass wir ihn nicht einfach hierlassen konnten, denn der junge Hund war mitten im Nirgendwo und hatte beide Augen entzündet und das Rechte schien so stark verletzt zu sein, dass er darauf vermutlich schon blind war. Allerdings waren wir mit unseren Fahrrädern da und einen Hund, vor allem einen Kangal zu transportieren, war aufgrund der Größe nicht so einfach machbar. Da war eine Babykatze wie Pivo schon etwas anderes. Also gaben wir Alan, wie wir ihn nannten, all unser Essen, ganz viel Liebe, stellten ihm einen unserer Töpfe gefüllt mit Wasser hin und fuhren weiter.





Vor allem ich konnte überhaupt nicht mehr aufhören zu weinen. Heute war unser letzter Tag auf dem Weg nach Kappadokien, worauf wir uns so lange gefreut hatten. Die Freude war allerdings wie weggeblasen. Wir waren so traurig und bedrückt und hatten keine Lust mehr auf irgendetwas. Das konnte doch nicht sein. Es konnte doch einfach nicht sein, dass der Mensch überall ein solches Leid verursachte und sich dann nicht um die Konsequenzen kümmerte. Auch der nächste Tag war nicht besser, denn uns war klar, dass klein Alan den Winter nicht überstehen würde. Schon gar nicht, wenn er komplett erblinden würde, da er nicht einmal andere Hunde zur Orientierung bei sich hatte. Also machten wir einen Plan, nahmen uns am nächsten Tag einen Mietwagen und machten uns auf den Weg zurück zu dem Platz, wo wir Alan getroffen hatten. Natürlich fanden wir ihn dort nicht mehr. Das Ganze war zwei Nächte her und er hätte überall hingelaufen sein können. Die nächsten Stunden verbrachten wir damit mit dem Auto sehr langsam bis zum nächsten Dorf zu fahren und dabei die Straßengräben abzusuchen. Wir hielten immer wieder an, riefen, suchten und hofften. Als wir schließlich kurz davor waren aufzugeben und uns auf den Rückweg zu machen, hatte Henning noch eine Eingebung und wir bogen in einen Feldweg ab und fuhren zu einem verlassenen Haus. Und dort fanden wir den Kleinen. Wir waren so glücklich und erleichtert. Wir gaben Alan etwas Futter, packten ihn in ein Handtuch und fuhren zum Tierheim. Dort erzählten wir, was passiert war und baten darum, dass man uns half. Das taten sie glücklicherweise auch ohne zu zögern. Wir brachten Alan in den Behandlungsraum, wo man seine Augen versorgte. Anschließend kam er nebenan in den Quarantäneraum in eine Box mit reichlich Futter und Wasser und seinem Handtuch. Man würde ihn hier medizinisch versorgen und er würde zumindest hoffentlich das Augenlicht vom linken Auge behalten. Außerdem würde er wieder auf ein gesundes Gewicht gebracht, da behalten bis er alt genug zum Kastrieren war und vollkommen genesen war und dann würde er mit einer Marke im Ohr wieder laufen gelassen. Diesen Winter sollte er also versorgt sein.









Aber immer noch ein Straßenhund. (In der Türkei werden Straßenhunde, wenn sie nicht vermittelt wurden und wenn sie wieder gesund sind, markiert und frei gelassen.) Hatte unsere Aktion also überhaupt etwas gebracht? Einige werden sicher sagen, dass es wohl kaum einen Unterschied gemacht hat. Aber für Alan und auch damals für Pivo war der Unterschied riesig. Denn für sie war es der Unterschied zwischen Leben und Sterben. Für sie haben wir ihre Welt verändert. Eine zweite Chance. Und wer weiß, vielleicht entdeckt jemand Alan auch im Tierheim und nimmt ihn mit. Die Hoffnung sollte man nie aufgeben.
Aus diesem Grund teilen wir auch so viel von den Tieren, die uns begegnen, auf Social Media. Zum einen, weil es schlichtweg seit über einem halben Jahr Teil unseres Alltags ist und wir keine Lust haben so zu tun, als ob alles auf unserer Reise Friede, Freude, Eierkuchen ist und zum anderen, weil es uns wichtig ist ein Bewusstsein für die Problematik mit den Straßentieren zu schaffen. Wir haben uns so darüber gefreut, als uns jemand schrieb, nachdem wir Alans Geschichte geteilt hatten, dass er sich immer daran erinnern wird und definitiv ins Tierheim fährt, wenn er sich mal einen Hund zulegen sollte. Das ist für uns Bestätigung genug. Es gibt so viele großartige Tiere, die ein furchtbares Leben haben und eine zweite Chance verdienen. Tiere, die unendlich dankbar sind, wenn man ihnen Aufmerksamkeit zukommen lässt. Es gibt bereits genug Tiere auf der Welt und davon leiden so viele. Muss es dann unbedingt ein Tier vom Züchter sein, wenn ich nicht aus medizinischen oder beruflichen Gründen darauf angewiesen bin? Muss es unbedingt ein Tier vom Züchter sein, nur wegen bestimmter Eigenschaften? Wer keine Lust hat mit seinem Tier zu arbeiten und zu sehen, dass es in eine tiergerechte Umgebung kommt, sollte sich vielleicht besser kein Tier als ein Tier mit bestimmten Eigenschaften vom Züchter holen. Ein Tier bedeutet Arbeit und sich kümmern. Und nicht jeder Hund von der Straße ist ein Problemhund. Das einzige Problem, das vermutlich alle haben, ist die Besessenheit von Mülltüten. Aber mit Liebe und ein wenig Arbeit sind es Begleiter fürs Leben. Und auch in Tierheimen gibt es Rassehunde. Schäferhunde, Huskys, Cockerspaniel, belgische Schäferhunde, Golden Retriver, Labradore und viele mehr. Man muss vielleicht etwas länger suchen, aber man wird mit Sicherheit fündig. „Adopt, don’t shop.“






Übrigens: Wer sich gar kein Tier zulegen will, aber trotzdem helfen möchte, kann neben der direkten Arbeit in einem Tierschutzverein oder Tierheim auch ganz anders unterstützen. Wenn Du das nächste Mal in den Urlaub fliegst, nimm doch mal Kontakt mit einer Tierschutzorganisation vor Ort auf. Diese suchen immer wieder Leute, die ein Tier auf dem Flug nach Deutschland (oder ähnliche Länder) mitnehmen. Du musst dabei kaum etwas machen, es geht lediglich darum, dass das Tier einem Passagier zugeordnet wird. Somit hilfst Du ganz einfach nur durch Deinen Rückflug nach Hause. Probiere es doch mal aus.
„Je hilfloser ein Lebewesen ist, desto größer ist sein Anrecht auf menschlichen Schutz vor menschlicher Grausamkeit.“ – Mahatma Gandhi
Aus diesem Grund werden wir auch, wenn alles zumindest halbwegs nach Plan läuft, für etwas über eine Woche in der Tierhilfe „Zuflucht“ in der Nähe von Antalya aushelfen. Wir möchten etwas zurückgeben. Wir haben auf unserer Reise schon so viel Hilfe und Unterstützung erfahren, dass wir davon nun zumindest ein klein wenig zurückgeben möchten. Außerdem hilft es uns zu verstehen, wie Tierschutz im Ausland funktioniert und wie man am besten helfen kann. Wir freuen uns wirklich sehr darauf.
P. S.:
Das ist noch weitere Sache, die wir machen: Wir geben sehr vielen Tieren einen Namen. Manchmal macht es einem die Sache noch schwerer, aber es sorgt auch dafür, dass wir nicht so schnell vergessen. Pivo, Punchy, Nele, Ekmek, Faith, Alan und viele mehr. Wir werden wohl keinen davon mehr vergessen.





Ein toller Bericht! 🥰 Danke für alles, was ihr für die ganzen Streuner tut und dass ihr darauf aufmerksam macht ❤🙏🏼🙌🏼
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