Serbien

Von der Straße gefegt

Unsere Motivation durch Serbien zu fahren, war ehrlicherweise nicht sonderlich hoch. Wir waren schon genervt, bevor wir überhaupt dort waren, denn Serbien behinderte uns in unserer eigentlichen Routenplanung. Für uns war es das erste Mal auf dieser Reise, dass wir aufgrund von Regularien eines Landes unsere Route anpassen und abändern mussten. Davon, dass uns das noch unzählige Male passieren würde, hatten wir nur eine sehr vage Ahnung. Denn eigentlich wollten wir zunächst in den Kosovo und von dort nach Serbien fahren. Schlichtweg, weil wir den Kosovo gerne sehen und erleben wollten und weil es von der Stringenz der Route Sinn ergeben hätte. Aber!

Der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo ist allgemein bekannt. Was uns bis Dato aber nicht klar war, dass sogar im serbischen Gesetz der Kosovo als Teil Serbiens gesehen wird. Außerdem erfuhren wir, dass wir nicht vom Kosovo nach Serbien einreisen konnten, wenn wir nicht zuvor ohnehin schon in Serbien gewesen sind. So etwas bescheuertes. Hier lernten wir kennen, was Grenzen tatsächlich bedeuten. Für Henning und mich, die wir uns kaum an bestehende Grenzen zu den Deutschen Nachbarländern erinnern können, etwas ganz Neues. Und uns fiel es schwer das alles so zu akzeptieren. Entsprechend waren wir unterbewusst schon ein wenig angefressen, denn wenn wir nicht noch mehr herumeiern wollten, als wir es im Balkan ohnehin schon taten, um möglichst viele Länder mitzunehmen, fiel der Kosovo zunächst flach.

Wir reisten also nach Serbien ein, um dieses Land zu queren und von hier weiter nach Rumänien zu fahren. In den ersten Tagen überraschte uns Serbien nicht nur mit schlechtem Wetter. Der Herbst war spürbar im Anmarsch und es regnete immer wieder. Da die Straßen in Serbien allgemein in einem sehr schlechten Zustand sind, führte das häufig dazu, dass nicht nur wir für die Dauer des Regens nicht wirklich weiterfahren konnten, sondern ebenso wenig die Autofahrer. Die Straßen liefen einfach voll und standen unter Wasser. (Uns wurde erklärt, dass die Straßen nie so gebaut werden, wie es Vorschrift wäre, da aufgrund von Korruption ein Großteil der Gelder für den Straßenbau auf unbekannte Weise verschwindet, sodass für eine qualitativ vernünftige Straße zu wenig Geld bleibt.) Außerdem waren wir irgendwie nicht darauf vorbereitet, dass Serbien so bergig ist. Wir waren zwar von Montenegro mehr als trainiert, was das Thema Höhenmeter anging, aber innerlich hatten wir uns beide darauf eingestellt, dass es in Serbien flach werden würde. Vermutlich auch, da wir 2018 bereits mit den Fahrrädern in diesem Land unterwegs gewesen waren und bis auf die Region nahe der kroatischen Grenze, wo wir uns urplötzlich in Weinbergen wiederfanden, waren wir damals fast nur flach gefahren. Sehr wahrscheinlich hatte das aber auch viel mit dem Umstand zu tun, dass wir zu dem Zeitpunkt einen großen Teil an der Donau gefahren waren.

Nun hingen wir dafür umso mehr in den Bergen und fanden uns eines mittags sogar in einem kleinen Skiort wieder. Aber auch, wenn wir nicht auf die Berge eingestellt waren, war diese Region mit Abstand der schönste Teil, den wir von Serbien kennenlernen durften. Es gab Wälder, es gab Wiesen, alles war saftig grün, immer wieder gab es einen See oder Fluss und wenn man die großen Straßen verließ, war es herrlich ruhig. Es hätte so schön sein können.

Ja, Serbien hätte in dieser Region so schön sein können, wenn die Autofahrer nicht gewesen wären. Inzwischen sind wir in unserem 18. Land auf dieser Reise und die serbischen Auto- und LKW-Fahrer waren mit Abstand das Schlimmste, was wir auf dem Fahrrad an Verkehr erlebt haben. Die Tatsache, dass an den großen Straßen (bei uns wären es Bundesstraßen) in etwa jeden Kilometer eine Gedenktafel oder ein Kreuz stehen, sprechen schon für sich. Während wir fuhren, lasen wir immer die Namen sowie Geburts- und Sterbedatum, rechneten das Alter aus und konnten es einfach nicht fassen. Es war eine scheinbar endlose Reihe dieser Kreuze und Tafeln. Die meisten der dort auf den Straßen umgekommenen Leute, sind junge Männer. Der Großteil im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Manchmal auch älter und manchmal waren es auch noch kleine Kinder. Wir erfuhren aber auch am eigenen Leib, warum dem wohl so war.
Zum einen scheinen Geschwindigkeitsbegrenzungen eher eine Empfehlung als eine Vorschrift zu sein. Zum anderen wird in Serbien, ähnlich wie in Bosnien, gerne getrunken und dann trotzdem noch Auto gefahren. Und bei kleinen Kindern ist schlichtweg das Problem, dass diese oft nicht nur nicht angeschnallt sind, sondern dazu noch vorne auf dem Armaturenbrett oder auf dem Beifahrersitz herumtollen. Die schlechten Straßen trugen ihren Rest dazu bei. Wir konnten es einfach nicht fassen, denn die Serben sind ja nicht doof. Ihnen musste doch auch bewusst sein, was das im Falle eines Unfalls bedeutete. Aber man denkt eben oft, dass man unantastbar ist und man so gut fährt, dass einem nichts passiert. Die ganzen Kreuze sprachen da jedoch eine andere Sprache.

Für uns war jedoch eine andere Sache noch viel gefährlicher als betrunkene oder zu schnelle Autofahrer. Und dies ist inzwischen überall auf der Welt eine echte Seuche geworden: das Handy am Steuer. In jedes zweite Auto, in das wir schauen, nicht nur in Serbien, hat der Fahrer ein Handy in der Hand. Manche telefonieren „nur“, aber es wird auch getippt, auf Instagram oder anderen Plattformen gescrollt, manche telefonieren auch per Video oder schauen einen Film. Und da platzt uns inzwischen echt die Hutschnur. Denn wir fragen uns, wie wichtig so ein Handy denn eigentlich sein kann, wie unglaublich dringend kann eine Nachricht sein und wie tragisch wäre es den Inhalt von Instagram für eine halbe Stunde nicht zu sehen? Denn es ist nun einmal so, dass man nicht nur sich, sondern auch andere gefährdet. Bereits in Belgien wurden wir das erste Mal fast von einem Transporter überfahren, der das Ganze nicht einmal mitbekommen hatte, da die Augen auf dem Telefon klebten. Bei uns gibt es die Regel, wenn einer „Rechts!“ schreit, dann wird rechts gefahren, egal ob Graben oder Wiese und zwar sofort und ohne zu fragen. Denn dann wurden wir wieder übersehen und müssen von der Straße. Und beim Thema Handy am Steuer muss man sich vielleicht sogar mal an die eigene Nase fassen, wenn man nur schnell eine Nachricht liest, eine Sprachnachricht aufnimmt oder ähnliches. Uns stellt sich dabei inzwischen immer nur die Frage, wie viel einem diese Nachricht, das Video, das Telefonat, das Handy wert sein kann. Ist es es wert, dass man dafür jemanden über den Haufen fährt, dabei ggf. sogar tötet oder derjenige danach schwer behindert ist? Wahrscheinlich nicht, aber man denkt eben, dass einem selbst das nicht passieren kann, schließlich hat man die Straße immer im Blick, auch wenn man 70 km/h fährt und dabei eigentlich aufs Handy schaut. Für uns ist dies, das Handy am Steuer, auf dem Rad die größte Gefahr. Keine Hunde, keine Menschen, die einen überfallen wollen, keine Krankheiten. Schlichtweg das Handy am Steuer und die entsprechend abgelenkten Auto- oder LKW-Fahrer.

Sobald wir in Serbien auf der Straße unterwegs waren, fuhr zumindest der Hintere von uns beiden permanent mit einem Auge auf den Spiegel gerichtet und es dauerte oft nicht lange bis wir hupten, schrien, gestikulierten oder den Finger zeigten. Dabei war es auch egal, dass wir eine Warnweste trugen. Auch war egal, dass wir einen Abstandshalter an die Räder gebastelt hatten. Dieser Abstandhalter war übrigens keine 1,50 m lang, wie eigentlich die gesetzliche Vorgabe für den Abstand beim Überholen von Radfahrern ist. Der Abstandhalter, den wir uns mithilfe einer neonpinken Fahne gebastelt hatten, war lächerliche 50 cm lang und trotzdem nahmen die Autofahrer ihn immer wieder mit. Schließlich begriffen wir zumindest, dass die Autofahrer wiederum nicht begriffen, dass 20 cm Abstand beim Überholen nicht ausreichend sind, schon gar nicht, wenn es windig ist. Zunächst waren wir nämlich immer möglichst weit rechts auf der Fahrbahn gefahren. Im Grunde schon fast auf dem weißen Begrenzungsstreifen – einen Seitenstreifen gab es nicht-, denn da wir eindeutig die Schwächeren sind, versuchten wir möglichst kein Verkehrshindernis darzustellen (als solches wird man übrigens sehr gerne gesehen). Dieses nahe am Straßenrand Fahren brachte allerdings das Problem mit sich, dass wir keinerlei Spielraum hatten, wenn uns doch ein Fahrzeug zu nah kam. Also machten wir uns irgendwann einfach breit und forderten unseren Raum, sprich wir nahmen das rechte Drittel der Fahrbahn ein. Und das führte immerhin dazu, dass die Autos sich nicht mehr zwischen uns und dem Gegenverkehr durchquetschten und uns dabei fast vom Rad holten. Nun verstanden sie, dass sie nicht vorbeikamen. Das Hupen deswegen war nicht weiter wild, denn wir wurden ohnehin den ganzen Tag angehupt. Da war es uns egal, ob diejenigen nun hupten, weil sie uns grüßten, warnten oder wir aus dem Weg sollten.

Dennoch zieht man auf dem Fahrrad immer den Kürzeren. Dies bekamen wir an einem Tag direkt doppelt zu spüren, denn wir mussten zwei Mal in den Graben fahren, um nicht von einem LKW überrollt zu werden. Der erste LKW hatte vor einer nicht einzusehenden Kurve noch angesetzt uns zu überholen, als wie zu erwarten Gegenverkehr auftauchte. Jetzt blieb dem LKW-Fahrer nur sich zu entscheiden, mit dem entgegenkommenden Auto zu kollidieren oder uns zu überfahren. Der Fahrer entschied sich für die zweite Option und wir fuhren schreiend in den Graben, um nicht unter die Räder zu kommen. Nur etwa eine Stunde später passierte exakt das Gleiche, wobei der LKW dieses Mal nur mich überfahren hätte, da Henning ein Stück weiter hinten war. Trotzdem, wir waren beide fertig. Und zwar fertig mit allem. Wir waren so wütend auf die ganzen Autofahrer, die meinen, das Recht der Straße mit dem Kauf eines Autos erworben zu haben, auf die ganzen Idioten, die beim Autofahren am Handy sind, auf die LKWs, die sich mit 20 cm bei 80 km/h an uns vorbeischieben, darauf, dass Serbien uns nicht erlaubte zuvor in den Kosovo zu fahren. Schöne Berge und Landschaft hin oder her, wir hatten kein Bock mehr auf dieses Land und ständig mit einem Auge auf dem Rückspiegel zu fahren.

Also fassten wir den Plan etwas mehr in die Pedale zu treten, dann wären wir in drei Tagen in Rumänien. Gegen Abend desselben Tages fanden wir jedoch Pivo und alles kam anders, aber diese Geschichte haben wir bereits hinreichend erzählt. (Falls Du sie verpasst hast, kannst Du hier Teil 1 und hier Teil 2 von Pivo lesen.) Am Ende führte die Begegnung mit dem kleinen Kitten jedoch dazu, dass wir nicht nur unglaublich wunderbare Menschen kennenlernten, zu denen wir noch immer Kontakt halten und die wir nach unserer Reise definitiv besuchen werden, sondern auch dazu, dass wir statt der geplanten Woche, vier Wochen in Serbien verbrachten. Zeit das Land kennenzulernen, ein paar Wörter zu lernen sowie ein wenig besser zu verstehen, denn wir waren nicht unbedingt dort, wo es Touristen hin verschlägt.

Wir verbrachten die vier Wochen mit Unterbrechung in Serbien, denn zwischenzeitlich waren wir zu Hause, um das Kätzchen in eine liebevolle Familie zu bringen. Als wir zurück waren und uns an die Weiterfahrt machten, fuhren wir noch zwei Tage durch das Serbien, wie wir es zuvor bereits kennengelernt hatten, aber dann änderte sich das Bild. Das hatte zum einen etwas mit der Landschaft zu tun, denn wir erreichten die Donau und nachdem es zuvor eine Zeit lang tatsächlich so flach gewesen war, wie wir es noch aus 2018 in Erinnerung hatten, erhoben sich nun wunderschöne Berge entlang der Donau und der Wald hatte sich in sein buntes Herbstgewand gekleidet. Welcher Unterschied jedoch viel krasser war: der Müll fehlte.

Serbien hat wie so viele andere Länder auch ein großes Problem mit Müll. Überall ist Müll abgeladen, fliegt herum oder es schwelt irgendwo ein Feuer, in dem einfach alles verbrannt wird, was man finden kann. Teilweise waren wir durch regelrechte Mülldeponien an Flüssen gefahren, wo jeder hinfuhr, um sein Zeug in der Weltgeschichte abzuladen. Dort lebten dann meist auch ein paar Streuner. Als wir jedoch die Donau erreichen, war die Abwesenheit von Müll so auffallend, dass sie uns förmlich ins Gesicht schrie. An unserem zweiten Tag an der Donau sahen wir dann etwas, dass so unglaublich lächerlich und grotesk war, dass es seines Gleichen sucht. Inzwischen war Ende Oktober, die Saison für Tourismus vorbei und uns hatten an diesem Tag vielleicht 15 – 20 Autos überholt, als wir nachmittags an einem Stück Straße mitten im Nirgendwo, sprich die nächsten Orte ziemlich weit entfernt, vorbeifuhren und dort ein einzelner Arbeiter war und die Blätter und eventuellen Müll von der Straße fegte. Ja, natürlich die Straße war herrlich sauber und obwohl Herbst war, lag dort nur vereinzelt Laub, aber das Bild, das hier geschaffen wurde, war einfach so falsch.

Während die meisten Länder sich bemühen dort, wo Touristen sind, den Müll zu beseitigen und die Straßen und die nähere Umgebung sauber zu halten, versinkt das restliche Land oft im Müll. Und Serbien ist damit bei Weitem nicht allein. Das Traurigste daran ist aber wohl, dass die Regierung offenbar begriffen hat, dass dieser Müll ein Problem ist, aber anstatt dieses tatsächlich in Angriff zu nehmen, wird nur ein oberflächliches Heile-Weilt-Bild für diejenigen geschaffen, die dort in den typischen Regionen Urlaub machen. Und das ist so schade, denn Serbien hat eine so schöne Landschaft, die einen Besuch wert ist, jedoch häufig unter einer Decke von Müll versteckt wird. So fuhren wir also unsere letzten Tage in einem merkwürdig aufgeräumten und sauberen Serbien bis zur Grenze nach Rumänien.

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